Übergang Offen/Gedackt

  • Liebe Kollegen,



    Häufig wird in der Orgelbauliteratur davon abgeraten, die tiefsten Pfeifen offener Register im Bassbereich durch gedackte Pfeifen zu substituieren. Audsley toleriert es gerade einmal, die tiefste Oktave der Clarabella 8' gedackt auszuführen, Töpfer akzeptiert bei kleinen Orgeln das Zusammenführen der tiefen Oktave von Gedackt 8' und Hohlflöte 8',...



    Als Hausorgelbauer, die gewöhnlich kompakt bauen wollen, kennen wir den immensen Platzgewinn, der durch das Decken der tiefsten Basspfeifen entsteht: Schwab (HO 20/2009) führt die tiefsten 1 ½ Oktaven seiner Holzflöte 4' (Mensursprung um 6 HT) gedeckt aus, Boersma (OH 6/1995) empfiehltt das Decken der tiefsten Pfeifen Pfeifen des Prinzipal 8' (ohne Mensursprung),...



    Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass bei weiten Flöten der Übergang offen/gedackt unproblematisch sein kann (selbst bei „meiner“ 30-registrigen Kirchenorgel wurde die tiefe Oktave der Holzflöte 8' ohne räumliche Notwendigkeit gedackt ausgeführt, ohne dass dies klanglich auffällt), während bei Principalen oder Streichen der Übergang offen/gedackt immer als Bruch empfunden wird.

    Eigentlich logisch: Bei Principalen oder Streichern ist der erste Oberton, die Oktave, charakteristisch. Diesen ersten Oberton können Gedackte nicht produzieren. Manche Engländer haben darum offene 8'-Pfeifen im Bass gedeckt, ihnen aber 4'-Helper-Pipes beigegeben, so dass der sonst fehlende Oktavanteil ausgeglichen werden konnte. Bedos setzt den offenen 8' im Bass bisweilen durch Gedackte von 2' Länge (also 4' Klang) fort, kann also auch die Oktave erzeugen.

    Ich selbst durfte auf einer kompakten Truhenorgel von Peter Meier (Rheinfelden/CH) musizieren, deren Principal 8' ab e0 selbstständig war, darunter die Pfeifen von Gedack8' und Gedacktflöte 4' nutzte. Es war praktisch kein Übergang zu hören!



    In meiner in Bau befindlichen Hausorgel (kurze Beschreibung im Forum 28.5.2012) werde ich dieses Konzept anwenden.



    Meine Fragen an euch:



    Welche Erfahrungen habt ihr mit Übergängen offen/gedackt gemacht?

    Welcher Mensursprung ergibt bei weiten Pfeifen einen möglichst homogenen Übergang offen/gedackt?

    Verwendet ihr Helperpipes? Wenn nicht, probiert einmal aus (durch Ziehen der entsprechenden Register) den Principal 8' in der Tiefe durch Gedackte 8' und 4' zu substituieren. Welche Erfahrungen macht ihr?



    Ich freue mich auf eure Erfahrungswerte.



    Herzlich,



    GeOrgel

  • Hallo GeOrgel,



    meine Erfahrung ist: Gedeckte Basspfeifen stören nicht wirklich, wenn man mehrstimmig spielt und dann nur der Basston "gedeckt" erklingt. Wenn die Melodie allerdings in den Bereich kommt, kann das bei Prinzipalen oder Streichern stören, muss aber nicht. Kommt auch auf die Intonation an. Das mit den Helper Pipes ist eine gute Idee; ich würde allerdings bei einem Prinzipal zu Gedackt 8' + leiser Streicher 4' anstatt einer 4'-Flöte greifen. Streichender Prinzipal 4' geht auch. Die 4'-Flöte könnte weitere Obertöne nicht haben, die ein Prinzipal aber hätte.

    Selbst große Orgeln haben oft im Rückpositiv/Brustwerk/Schwellwerk solche im-Bass-Gedackt-Transmissionen; man hat also genug Möglichkeiten zu experimentieren wenn man wissen will ob es stört oder nicht.



    Hier ein Beispiel einer Truhenorgel (übrigens, wie ich finde, ein geniales Design: Mega platzsparend, nur eine Pfeifenreihe halb gedeckt, halb offen, mit Oktavtransmission -> kleiner gehts nicht):







    Mit Bildern:



    http://www.facebook.com/media/…58.103819999662880&type=3



    Hier kann man auch den Effekt des Übergangs hören. Bleibt jedem selbst überlassen, ob es stört. Mein Clavichord hat auch im Bass andere Saiten als im Diskant (im Bass umsponnen -> leiser, aber mehr Obertöne, im Diskant blank -> lauter, aber direkter) aber es stört mich nicht. Gleiches auch bei meiner Geige, wo die hohe E-Saite meist anders klingt als die anderen 3, weil sie aus statischen Gründen meist aus Stahl und nicht aus Kunststoff oder Darm ist.

  • Ich glaube, daß in kleinen Orgeln früher oftmals geschwindelt wurde, indem die tiefsten Töne des offenen Registers mit gedeckten Pfeifen ausgeführt worden sind; freilich wird das geschulte Gehör eines Musikers das heraushören, wenn im entsprechenden Baßbereich eine Tonleiter gespielt wird, während die anderen Stimmlagen Pause haben, bei Bachs Präludien kommt das mit den charakteristischen Pedal-Soli am Anfang manchmal vor, doch wird man diese Stücke ohnehin zur Klangaufhellung mit zusätzlichen Oktavregistern spielen; kein Mensch soll mir dann weismachen, er merkte den Übergang zu den gedeckten Pfeifen des Prinzipalbasses in der großen Oktave heraus, auch wenn es Zeitgenossen geben soll, die angeblich das Gras wachsen hören.



    Bei den Hausorgeln stellt sich m. E. die Frage überhaupt nur selten, denn üblicherweise wird das meist einzige 8-Fuß-Register ohnehin vollständig gedeckt ausgeführt, erst recht ein 16-Fuß-Register - nicht so bei mir: Ursprünglich als 4-Fuß-Portativ gebaut erweiterte ich das Instrument zu einem 8-Fuß-Positiv; um nun nicht die offenen Pfeifen davonhauen zu müssen, baute ich einfach eine gedeckte Oktave dazu mit dem Effekt, daß etwa in der Mitte zwischen Baß und Diskant, nämlich zwischen dis1 und e1 der "Sprung" eintritt. Bislang hat erst ein einziger Zuhörer, ein Berufs-Organist, den Übergang bemerkt und dabei diesen Klangsprung als reizvoll bezeichnet, vom stark quintigen Gedackt zum streichenden Prinzipal!



    Jens beschrieb den Effekt auf der Geige mit dem unterschiedlichen Material der Saiten; erinnere ich mich recht, daß bereits Händel in einer F-Dur-Sonate diesen Effekt uns absichtlich hören läßt, indem er mehrmals hintereinander den gleichen Ton einmal auf der einen Saite, dann auf der anderen Saite erklingen läßt? Rein von der Tonhöhe her ein unnützes Herumgespringe, doch bezüglich des unterschiedlichen Klangs ein reizvoller Unterschied!



    Schließlich möchte ich, wie so oft, daran erinnern, daß jeder von uns seines eigenen Klanges Schmied ist; es ist nicht wichtig, daß "häufig in der Orgelliteratur davon abgeraten wird, die tiefen Pfeifen offener Register im Bassbereich durch gedackte Pfeifen zu substituieren" (Georgel), das kann man leicht fordern, solange man nicht selbst den Aufwand betreiben muß, die riesigen Rohre anzufertigen oder für ihre Kosten aufzukommen, wichtig ist die eigene Abschätzung, in wie weit man den Ehrgeiz einer perfekten Klanglichkeit mit dem dafür notwendigen Aufwand treiben möchte...



    Es grüßt Euch Euer

    Wolfgang, bisweilen sprunghaft.

  • bin grad dabei Versuchspfeifen zu bauen.

    - Rohrflöte mit Rohrdiameter=1/4 von Pfeife

    - Konisches Principal mit Konizität 1:16 (was ca. die Rohrfläche entspricht)

    sonst alles gleich für beide Pfeifen.



    Natürlich mit der Idee herauszufinden, wie man eine (fast) unhörbarer Übergang schafft.