Gravität, Brillance und Poesie

  • John Boersma schrieb im Heft 17 2006 Die Hausorgel, Mensursystem für eine Hausorgel - Eine Fahndung nach dem Stein des Weisen, Ergänzung des Basisklangs:



    "Gottfried Silbermann brachte den Gesamtklang einer Kirchenorgel zum Ausdruck als Mischung von >>Gravität, Brillance und Poesie<<. Bei der Zusammenstellung der Disposition einer Hausorgel wird kaum Gravität verlangt. Mit einem niedrigen Winddruck ist diese Bedingung schon erfüllt."





    Als phantasieloser Technokrat bin ich wieder einmal hoffnungslos überfordert, was schon allein die Terminologie anbetrifft, will jemand von Euch, liebe Hausorgelfreunde, das Opfer aufsich nehmen, einen Deutungsversuch zu unternehmen?





    Unter

    Gravität

    könnte ich mir im Zusammenhang des Orgelklangs eine etwas schwerfällige Würde vorstellen, indes sehe ich keinen Zusammenhang mit dem Winddruck, auch nicht, daß im Gegenzug Hausorgeln mit unwürdiger Leichtigkeit auskämen.



    Schwierig wird es m. E. auch mit dem Verständnis von

    Brillance

    und

    Poesie

    , deren Verhältnis zueinander

    "abhängig von der Skala an Obertönen und ihrer Stärke gegenüber dem Grundton"

    sei - daß der Glanz des Orgelklanges durch obertonreiche Register erstrahlt, kann ich mir dabei leidlich vorstellen, indes gelingt es mir nicht im geringsten, einen Zusammhang des Klanges mit der Dichtung herzustellen, ich nehme einmal an, daß damit nicht die Dichtigkeit der Windlade gemeint sein kann.







    Wie dem auch sei, den

    Lapis philosophorum

    möchte ich lieber in Form einer Silberbronze suchen, um damit meinen billig erstandenen Zinkpfeifen einen Zinnglanz zu verleihen, um sie, wenn schon nicht akustisch, doch wenigstens optisch zur Brillanz zu verhelfen...





    es grüßt Euch, etwas glanzlos und völlig unpoetisch



    Wolfgang
  • Lieber Wolfgang,



    den Versuch moechte ich wagen, wenn auch John Boersma viel Wissen voraussetzt und ich nicht alle Wissensluecken vorab fuellen kann.

    In meinen Worten meint er:

    - die Transformation einer Kirchenorgel ins Haus funktioniert nicht. Wer sein Konzept vom Klang her nach dem grossen Vorbild auslegt geht fehl. Der Klang ist zu stark und zu laut. Dies liegt am kleinen Raum, an dem hohen Winddruck der Pfeifen und auch an den weiten Mensuren.

    - Die Pfeifenlautstaerke haengt in erster Linie vom Winddruck ab. Mit weniger Winddruck klingt sie leiser, hat aber auch eine anderen Charakter. Dies muesste der geuebte Hausorgelbauer durch Aenderungen an den Labien, der Pfeifenfussoeffnung etc. korrigieren, damit die Pfeife ueberhaupt benutzbar ist. Die Querschnittsmensur mag dabei bleiben. Mit weniger Winddruck wird die Pfeife aber auch einen anderen Obertonaufbau haben. Vergleiche einmal eine Blockfloete Deiner Kinder bei der Weihnachtsmusik. Wird zu stark hineingeblasen, dann oktaviert die Floete >kieks<. Der Grundton kommt schwach und der Oktavton hat den Grundton an Lautstaerke ueberdeckt.

    - eine Hausorgel soll keine Gravitaet brauchen? Nun eine Basis, also ein Fundament fuer den Klangaufbau braucht sie schon. Die Zeiten wo nur ein 8'und viele Obertonregister auf einem Manual disponiert wurden sind vorbei. Eine heutige Hausorgel wird oft mit mehr als einem 8'-Register geplant. Herrlich klingt ein solo gespielter Prinzipal 8' mit zurueckhaltender Intonation. Der hat gleichzeitig Gravitaet und einen gesunden Obertonaufbau, also in Johns Worten Brilliance und Poesie.



    Schoene Feiertage

    und achte mal auf die Blockfloeten der Kinder ;-)



    Es gruesst Dich

    Thomas Reinhardt

  • In der Tat diente mir die Blockflöte als Vorbild und Grundlage meiner ersten Pfeifenbauversuche, lieber Thomas, die Pfeifen meines Portativs haben über den sehr weiten Bereich von fast drei Oktaven, von c1 bis a3 gleichbleibenden Querschnitt 28 x 17 Millimeter, also ein sehr stark "changierendes" Register von -18 HT bis +15 HT Normalmensur; den Bogen habe ich damit wohl überspannt, und ich will die kommenden langen Winterabende nutzen, die Querschnitte der kleinen Pfeifen zu verringern.



    Wie sieht denn die Sache bei Eurer Hausorgel aus, freundlicherweise habt Ihr ja die genauen Mensuren aller Register veröffentlicht, würdet Ihr nun nach Vollendung des Werkes Änderungen emfehlen oder seid Ihr mit den gewählten Maßen vollständig zufrieden; ich erlaube mir dank Deines Editorals "Informationsweitergabe" so indiskret zu fragen, irgendwo las ich auch, daß Ihr Euch noch ein Regal wünschtet, meine Frau wünscht sich das auch schon lang, nun ja, hoffen wir auf die langen Winterabende...



    Zum heutigen Thomastag wünsche ich ganz besonders Dir und Deiner jungen Familie alles Gute!

  • Vielen Dank fuer die guten Wuensche, Wolfgang. Die Informationsweitergabe zum Orgelbau ist mir, wie Du richtig gelesen hast, ein grosses Anliegen. Leider komme ich recht wenig dazu.



    Dein Mensurverlauf fuer die Pfeifen Deines Portativs ist extrem. So sollte man allenfalls fuer einen kurzen Tastaturabschnitt (z.B. eine Oktave) mensurieren.



    Zu den Mensuren unserer Hausorgel: Im grossen und ganzen bin ich mit dem bisher intonierten Pfeifenmaterial zufrieden. Der 2'und die Rohrfloete 8' sind noch nicht fertig.



    Aber ich moechte Dich warnen einfach die bisher veroeffentlichten Mensurfragmente zu kopieren. Bitte nicht falsch verstehen, sie sind veroeffentlicht worden, um anderen einen Anhaltspunkt fuer den Pfeifenbau zu geben. Was "fehlt" ist viel. Darum rede ich auf von Mensur-FRAGMENTEN. So sind nicht genannt in der Aufstellung der Mensuren die Durchmesser der Fusslochoeffnungen, die Laenge der Verengung im Fuss, Winddruecke am Pfeifenfuss, Windfuehrungen am Labium, alle Korrekturen vom Soll und die Abweichungen in der Bauform ueber die Oktaven hinweg.



    Diese "fehlenden" Masse zu beschreiben ist unmoeglich und doch erforderlich um die Pfeifen ansatzweise nachbauen zu koennen. Die handwerklichen Abweichungen kommen noch dazu.



    Also nochmal kurz zusammengefasst: die auf http://www.hausorgel.de dargestellten QUERSCHNITTS- und AUFSCHNITTS-Mensuren sind fuer eine Hausorgel gut geeignet.



    Wir haben einen Winddruck von 52mm WS in der Lade gewaehlt. Vielleicht etwas hoch fuer eine Hausorgel. Dies ist jedoch darin begruendet, weil wir die Laden mit Wechselschleifen bauten und die Windwege hinter dem Ventil bis zur Pfeife sehr kritisch sind. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Verluste in den Windwegen nicht unterschaetzt werden duerfen. Irgendwann reicht der Druck dann nicht mehr fuer die tiefen Pfeifen, wenn sie abgefuehrt sind durch zu enge Kondukte. Der tiefste Ton vom Gedeckt 8' ist mit einer Kondukte von 18 mm Innendurchmesser richtig versorgt, c0 bekommt dann d(innen)=12 mm.



    Ein Regal ist bei uns im Moment kein Thema. Die Stimmhaltung der kurzbechrigen Zungen ist nicht gut im Wohnraum. Da waeren langbechrige Zungen besser geeignet.



    Dir und allen Hausorgelbauern und -bauerinnen wuensche ich schoene Festtage.



    Thomas Reinhardt