Massenbewegung in der Spieltraktur

  • Anknüpfend an Ulfs Beitrag im Zuge der Ventil-im-Sog-Geschichte neulich möchte ich die Bedenken eingehend berücksichtigen, die zu beschleunigenden Massen in der Spieltraktur möglichst gering zu halten. Bislang war für mich das oberste Gebot, die Ventilfeder nur zum Ausgleich des Ventilgewichtes selbst einzusetzen, nun möchte ich das nicht mehr als unabdingbar ansehen.



    Die im letzten Heft Ars Organi beschriebene Untersuchung von Frau Henny Jahn bezüglich des Ausschwingens der Ventile und deren Begrenzung hat mich nachdenklich gestimmt, und ich möchte es schier kaum glauben, daß die Ventile 20 Millimeter über die Ventilöffnungslage hinaus nach unten aufschwingen; zwanzig Millimeter, das ist mehr als einen Finger breit!



    Wo kommt soviel Schwungmasse her? Freilich sind die Wellen in den großen Kirchenorgeln wesentlich länger und wohl auch dicker, zum Teil aus Eisenstangen gefertigt, während bei Hausorgeln die Stäbe doch eher zierlich wirken. Dennoch wird wohl auch hier das Problem grundsätzlich auftreten, wenn auch nicht gleich ein Ausschwingen, ein Über-Schwingen von 20 Millimetern.



    Frau Jahn empfiehlt das Lagern der Wellen etwas aus der Mitte, so daß das Gewicht der Wellenarme dadurch kompensiert werden kann - das scheint mir die Lösung darzustellen, weder Gegengewichte zu benötigen noch die Ventilfedern zu belasten.



    Was haltet Ihr von der Idee, möglichst dünne Wellenstäbe zu verwenden, nicht nur um zu beschleunigende Masse zu sparen, sondern die Torsionskraft derselben nach Überwindung des Druckpunktes gewinnbringend für ein schnelles Öffnen des Ventils einzusetzen? Am Modell führte ich bereits diesbezügliche Versuche durch, indes ist es nicht einfach, für die unterschiedlichen Wellenlängen den geeigneten Stabdurchmesser zu ermitteln...



    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,



    mein Eindruck nach dem Bau von duennen Wellenaermchen ist, dass gerade die Tordierung der Welle die Energie zum Ueberschwingen der Ventile speichert. Gefoerdert (beschleunigt) wird das durch schnelles Niederdruecken der Taste.



    Folgende Mindestmasse moechte ich Dir empfehlen:

    + fuer eine Querverbindung von 20 cm Laenge

    + mit nur einem Ventil (keine Koppel)

    => mindestens 8 x 8 mm Querschnitt



    + fuer 50 cm Laenge mindestens 12 x 12 mm



    Haengt noch eine Koppel daran (zweites Ventil) muss groesser dimensioniert werden. Bei einem weiteren VEntil noch mehr.



    Viele Gruesse

    Thomas Reinhardt

  • Danke für Deine Maßempfehlungen, Reinhardt, ich werde wohl noch weitere Versuche durchführen, wenn die endgültigen Längen einmal feststehen werden:



    Vielleicht ist es günstig, Aluminium-Hohl-Vierkantstangen zu verwenden, welche wohl noch steifer sind als Holz-Vollmaterial; schließlich könnte ein geringerer Stabquerschnitt ein engeres Zusammenlegen der Wellen ermöglichen, damit das Wellenbrett nicht so hoch wird.



    Bis es soweit ist, wird noch etliche Zeit verstreichen, denn erst einmal möchte ich die Manualladen bauen, dann erst das Wellenbrett.



    Übrigens beträgt bei meiner nun fertiggestellten Pedallade das Überschwingen der Ventile immerhin bis zu vier Millimeter, und das ohne irgend welche schwungfördernde Traktur, denn die Pedaltasten ziehen direkt den Abzugsdraht der Ventile!



    Allen Hausorgelbau-Freunden wünsche ich, den gestrigen Feiertag eingehend genutzt zu haben; der Dauerregen bewahrte mich vor Ablenkungen in Form von Ausflug oder Gartenarbeiten und in die Kirche mußte man auch nicht gehen...



    Wolfgang

  • Ich möchte Euern Elan nicht ausbremsen, aber...

    Wann hat sich früher überhaupt mal jemand Gedanken gemacht über "ausschwingende" Ventile?

    An alten Schleifladen gibt es keine Gangbegrenzung.

    Durch die großen Ventilfedern hat man einen Automatismus.

    Je weiter das Ventil aufmacht, umso mehr drückt die Feder.

    Ventilbegrenzung kamen erst in der Orgelbewegung à la Kemper auf. Durch die Vielzahl an Alu-Trakturteilen und die weichen Seiltrakturen wurde das Problem latent.

    Früher, als man ausschließlich Holz benutzte, war das kein Problem.

    Die Art, wie die Ventile öffnen, ist schließlich auch bestimmend für deren Intonation!

    Kegellade vs. Schleiflade etc.



    Wellen aus Fichte! Ca. 18x18mm. Die Kanten ca. 6mm gefast.

    Ärmchen aus Eiche, Abstrakten aus Fichte.

    Ventile einseitig mit Leder angeschwänzt, am besten hängende Traktur und Ihr habt keine Probleme.

    Das Problem schwingender Ventile ist ein Problem der Orgelbewegung. Den Alten war es unbekannt, und die haben schon viel (!) beachtet.

    -> Cavaille-Coll keine Begrenzungen

    -> Ladegast keine Begreunzungen

    -> Stumm, Silbermänner, Gabler etc. dto.



    Gruß,

    Andreas

  • Die unlängst von unserem Johannes gezeigten Zeichnungen von dem Orgelbauer Alois Linder in der Beitragsreihe zu den Trennschieden in den Tonkanzellen lassen mich an oben genannten Beitrag in Ars Organi erinnern, in welchem sich Orgelbauerin Henny Jahn über Ventile beklagte, die durch im Vorschlagbrett längs angebrachte Anschlagleisten in ihrem Aufgang begrenzt werden, hier die zitierte Zeichnung:







    Was haltet Ihr nun von Jahns Sorge, daß der Ventilanschlag zu erhöhter Beanspruchung in den Lagerungen der Mechanikkomponenten führe?



    Wennn ich jetzt einmal annehme, daß die Massenträgheit der Traktur in einer kleinen Hausorgel im Vergleich zu jener des Ventils und der Taste zu vernachlässigen sei, ist es wohl so, daß der Schwung eines unbegrenzt aufschwingenden Ventils allein durch die Ventilfeder abgefangen würde, indes absorbiert die Feder die Schwungenergie nicht, sondern drückt das Ventil in seine statische Offenstellung zurück; diesen Rückschlag müßte sodann der niederdrückende Finger verspüren.



    Wenn aber die Anschlagleiste eine dämpfende Filzschicht aufweist, dürfte man wohl annehmen, daß diese die Schwungenergie des Ventils aufnehme und durch die Absorbtionsfähigkeit des Materials vertilge, ohne irgendwelche Belastungen in Lagerstellen hervorzurufen.



    Habe ich da etwas übersehen?

  • Hallo Wolfgang,



    ich habe zwar haufenweise Fotos von der 'echten' Windlade, aber leider keines von dem Ventilkastendeckel von innen gesehen.



    Grundsätzlich denke ich, dass eine Begrenzung, die der natürlichen Bewegung, wie sie sich z. B. beim ganz langsamen Niederdrücken der Taste schon in den Weg stellt oder genau hier die Grenze setzt natürlich einen erhöhten Verschleiß fördert.



    Eine Begrenzung, die lediglich das freie Nachschwingen durch Trägheit behindert sehe ich eigentlich nicht so problematisch.



    Was mich an dem Artikel von Frau Walentowicz damals schon gestört hat ist die Kombination von Anpreisung einer Methode die zufällig in eigenen Werken angewendet wird



    Johannes



    Johannes

  • Ich möchte noch Nachtragen zu diesem Thema.

    Über ebay bin ich heute an die kompletten Berichtshefte eines Orgelbauerlehrlings gekommen.

    Ich möchte daraus kurz zitieren: (November 1980)



    Sie müssen so an den Spunddeckel montiert werden, daß die Ventilvorderenden bei normalem Spiel nicht daran anstoßen (2 - 3 mm weiter unten, als die Bentile bei gedrückter Taste stehen), aber acuh bei sehr schneller Betätigung nicht aus der Führung springen.





    In der dazugehörigen Skizze zeichnet er einen Ventilgang a) und einen zusätzlichen Abstand b) zwischen Ventil und Begrenzungsleiste.





    Johannes

  • Es ist schon höchst bewundernswert, wie Du dich, lieber Johannes, so intensiv mit dem Orgelbau beschäftigst, daß Du gar Berichtshefte studierst und prompt daraus zu zitieren im Stande bist; in der Tat erscheint mir das eine sehr geeignete Methode, sich in die Feinheiten des Orgelbaus zu vertiefen!



    Je länger ich darüber nachsinne, gelange ich immer mehr zu der Auffassung, daß eine richtig plazierte Begrenzungsleiste von Vorteil sei, um das Herausspringen der Ventile aus den Stiften bei ungewöhnlich schnellen Tastenbetätigungen zu vermeiden. Gerne hätte ich nun gewußt, wie es die die hier praktizierenden Hausorgelbauer halten, Begrenzungsleiste ja oder nein, sinnvoll oder überflüssig, ich selbst baute sie bislang nicht ein, da ich davon nichts wußte.



    Die von Dir gezeigte Zeichnung regte mich zu weiterem Nachfragen an, ob es sinnvoll sei, die Ventile mit dem Leder anzukleben; dazu möchte ich eine gesonderte Beitragsreihe eröffnen,



    es grüßt Euch euer sich oftmals begrenzt fühlender

    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,



    ich habe keine Begrenzungsleiste gebaut und halte sie bei haengenden Trakturen auch fuer ueberfluessig.



    Der automatische Spielausgleich in der Trakturlaenge bei haengenden Trakturen sorgt dafuer, dass das Ventil nur mit der Geschwindigkeit des Niederdrueckens der Taste multipliziert mit der Uebersetzung (normalerweise kleiner 1) sich oeffnet. Ich habe den Aufgang des Ventils immer kleiner dem Tastenweg an der Vorderkante gewaehlt und alle Uebersetzungen im Trakturweg kleiner 1. Damit bin ich gut gefahren. Einmal hatte ich bei einer Konstruktion zwischendrin einen Hebel mit einer Uebersetzung groesser 1 und prompt ging die Traktur nicht leicht.



    Beispiel:

    Tastengang 8 mm

    Tastenuebersetzung 1:1,3 => Weg des Stechers 8:1,3=6,15 mm

    zweiter Hebel mit Uebersetzung 1:1,3 => Ventilabzug macht 6,15:1,3=4,7 mm Weg



    Schwergaengige Traktur:

    Tastengang 8 mm

    Tastenuebersetzung 1:2,5 => Weg des Stechers 8:2,5=3,2 mm

    zweiter Hebel mit Uebersetzung 1,25:1 (!) => 3,2 1:1,25)=3,2:0,8=4,7 mm Weg



    Bei anderen Trakturkonstruktionen, besonders solche mit viel Spiel zwischen den bewegten Bauteilen kann das schnelle Niederdruecken der Taste hohe Beschleunigungen bewirken nachdem das Spiel ausgeglichen ist. Das stresst auch die Bauteile im Trakturweg wie z.B. Lager und Ledermuttern.



    Gruesse

    Thomas Reinhardt

  • Was ist das denn? Die Zeile mit dem gelben Maennchen soll so heissen:

    zweiter Hebel mit Uebersetzung 1,25:1 (!) => 3,2:0,8=4,7 mm Weg mit 1:1,25=0,8