Unterschiede zum Bau einer Orgel

  • Hallo zusammen,

    mein Name ist Dennis Wieczorrek und ich studiere im Master an der TU Dortmund Musik mit dem Hauptfach Orgel.
    Im Rahmen meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit den Unterschieden im Haus-/ Orgelbau und suche daher Informationen, was denn grundlegend anders ist. (Abgesehen von der Größé des Instrumentes). Winddruck und Pfeifen und somit die Mensuren sind natürlich auch anders. Gibt es festgelegte Formel zur Berechnung der Pfeifen, oder wird die Intonierung durch eine veränderte Windstärke getan?

    Ich wäre für jede Antwort dankbar. Verweis auf Literatur nehme ich natürlich auch gerne, aber Informationen aus erster Hand sind Gold wert:)

    MfG

  • Hallo Dennis (ich erlaube mir mal das DU),


    eine komplexe Fragestellung, gerne von mir einige private Anmerkungen, andere werden es total anders sehen.

    DIE Hausorgel gibt es nicht, jedes Instrument ist ein Unikat - der Unterschied liegt im Geist, wir wollen bauen, der Orgelbauer muss Geld verdienen, er lebt davon, also effektiv bauen, Serienfertigung, Zukauf von Kleinteilen, alles maschinell, Hobel, Band- Kreissäge u.s.w.

    Hausorgelbau will nicht den Profis nacheifern, der Reiz liegt darin, mit einfachsten Mitteln zu einem vergleichbaren Ergebnis zu kommen - meist mit erheblich größerem Zeitaufwand. Dabei ergeben sich teilweise völlig unkonventionelle Lösungen.

    Was das in der Praxis bedeutet, kann ich dir, bei Interesse, gerne an einigen Bildern vom Bau meines Instrumentes ( KLEINE TRUHENORGEL ) zeigen.

    Wenn man eine leidensfähige und tolerante Frau hat, geht so etwas mangels einer Werkstatt/Keller/Boden, sogar im Wohnzimmer.


    soweit in Kürze


    mit Grüßen

    tonwolf

  • Hallo Dennis, das ist wirklich eine Interessante Frage. Da es auch Menschen gibt, die sich Hausorgeln bei Orgelbaufirmen fertigen lassen, muss man wohl Hausorgelbau von Hobby-Orgelbau unterscheiden, wobei die meisten Hobbyorgelbauer wohl eher kleine oder Hausorgeln bauen. In diesem Fall fallen beide Begriffe zusammen.


    Für daheim sind die Anforderungen andere als für eine Kirche, das hast Du richtig festgestellt. Hier spielt natürlich der Geschmack des Kunden oder Erbauers eine große Rolle. In der Zeit der Orgelbewegung, als Karl Bormann noch Arbeitskreisleiter war, waren Orgeln mit hohen Mixturen, Zimbeln und Aliquoten durchaus auch "in" für Hausorgeln. Heutzutage wünschen sich wahrscheinlich (aber das ist auch nur eine Vermutung) die meisten eher milder intonierte, wohnzimmertaugliche Instrumente, wobei die Fußtonlage oft nicht über einen 4' hinausgeht. Die Ausnahme bestätigt hier bestimmt auch die Regel. Für einen sanften Klang braucht man keine hohen Winddrücke. Bis zu 50mmWs reichen oft aus. Pfeifen unter niedrigem Winddruck muss man auch anders intonieren; oft ist auch der Aufschnitt geringer damit die Pfeife unter niedrigem Wind gut anspricht. Mit der Mensur kann man auch etwas enger gehen als im Kirchenorgelbau um die Lautstärke/Grundton zu reduzieren; wenn zu eng gebaut wird geht jedoch der Klangcharakter verloren und aus einem Prinzipal wird beispielsweise ein Streicher. Die Raumakustik mit Hall fehlt oft komplett, das gehört bei einer Kirchenorgel fast auch mit zum Instrument dazu und ist im Wohnzimmer einfach nicht vorhanden.


    Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Konzepten, von der Truhenorgel über (Hoch)positive bis zu Kabinett- oder Kirchenorgel-ähnlichen Instrumenten. Auch was die Stilrichtung angeht gibt es eher barock angehauchte sowie auch romantisch konzipierte Instrumente. Alles ist irgendwie möglich, eben nur kleiner skaliert als bei einer Kirchenorgel.


    Das ist nur meine nicht-professionelle Antwort auf die Frage und mit Vorsicht zu genießen da womöglich jeder hier das etwas anders sieht. Vielleicht kann Dir auch Herr Reiner Janke Antwort geben auf die Frage. Er ist Intonateur bei Freiburger Orgelbau und er betreibt eine Internetseite über Intonation.


    Gruß,


    Jens

  • Hallo Herr Wieczorrek,


    ich kann mich meinen Kollegen nur anschließen: uns geht es um das Bauen, auch wenn es sehr viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Vieles wird selbst entworfen, meist auch ausschließlich mit Handwerkzeugen bearbeitet und ist sehr individuell. Das birgt die Gefahr, dass diese "Selbstbau-Instrumente" nur schwer als Ganzes verkauft oder abgegeben werden können. Aber das ist ein anderes Thema.


    Die "Hausorgel" ist ein eigenständiges Instrument, es muss anderen Ansprüchen genügen als eine Kirchenorgel. Im Wohnraum wurde sie natürlich von Klavier oder auch dem Harmonium verdrängt. Meist waren Hausgottesdienste oder kleine Andachten damit begleitet worden. Manchmal dienten die Instrumente dem Üben für den Organisten, einige Hausorgeln standen auch in Schulen oder ähnlichen Einrichtungen zur Unterweisung von Kindern und Heranwachsenden, nicht zu vergessen die Instrumente, die in Gemeindehäusern stehen, um den Chorgesang einzustudieren, zu unterstützen oder auch um Orgelschüler zu unterrichten. Diese Instrumente stehen alle in akustisch trockenen Räumen und sind daher sehr feinsinnig zu intonieren, auf niedrigem Winddruck, der manchmal bei mechanischen Instrumenten sogar unter 50 mm WS liegt. Bei pneumatischen Instrumenten ist aufgrund der Tonsteuerung ein höherer Winddruck nötig, teilweise wie bei Kirchenorgeln von 80 mm WS und mehr. Es kommt bei Hausinstrumenten auch häufiger vor, dass der Wind mit den Füßen - ähnlich wie beim Harmonium - selbst erzeugt wird (wenn eine Pedalklaviatur fehlt).


    Es gibt ähnlich wie bei Kirchenorgeln auch "Hausorgel-Landschaften", in England gibt es zur Händel-Zeit einige "chamber organs", in Frankreich ist die "orgue de salon" (Salonorgel) vor allem im 19. Jahrhundert beliebt, in der Schweiz gibt es die Toggenburger und Emmentaler Orgeln, in den Niederlanden eine rege Hausorgel-Kultur aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Dazu lege ich Ihnen die Dissertation von Jan Gierveld ans Herz: Gierverd, Arend Jan: Het Nederlandse Huisorgel in de 17de en 18de Eeuw. Utrecht, 1977.

    Hausinstrumente sind ebenso beschrieben in: Gernhardt, Klaus; Henkel, Huber; Schrammek, Winfried: Orgelinstrumente Harmoniums. Leipzig, 1983.

    In beiden Werken sind auch Mensuren und deren Verläufe wiedergegeben. Im ersteren wird auch die Hausorgelkultur beschrieben.

    Es existieren aus dem England des 19. und 20. Jahrhunderts auch Selbstbau-Beschreibungen inkl. Mensuren und Abbildungen, wie: Wicks, Mark: Organ building for amateurs. London, o.a.J. (als download erhältlich) oder: Milne, H.F.: How to build a small two-manual chamber pipe organ. London, 1925.

    Aktuelle Selbstbau-Bücher gibt es von Johan de Vries (positieforgel, 2007) oder John Boersma (Bouw van een Orgelpositief, 2010; Bouw van een klein Huisorgel, 2012), einzelne Artikel sind erschienen und erscheinen weiterhin in "Die Hausorgel", die vom Arbeitskreis Hausorgel in der GDO herausgegeben wird.


    Ich selbst habe bisher zwei kleine Positive gebaut mit einem begrenztem Tonumfang von c°-a2 und einem Gedackt 4' (siehe Hausorgelgalerie auf dieser Homepage) und ein pneumatisches Instrument gehabt, mit Hausorgelmensuren und einer pneumatischen Kegellade. Die Disposition war Gedackt 8' (Holz), Salicional 8' (ursprünglich außerdem mit Schwebung 8' ab c°), Principal 4', Waldflöte 2' Diese Orgel steht nun leicht verändert bei einem Orgelfreund in Kassel.


    Ich habe nun einen Positivtorso (Serieninstrument) der Fa. Alfred Führer, Wilhelmshaven, Bj. 1954 erworben, bei dem die Traktur vollständig fehlte. Interessanterweise hat das kleine Instrument bei 4 Registern ein Salicional 8' (seinerzeit mit "Weidenpfeife 8'" beschriftet) aus einer pneumatischen Orgel, die anderen Register sind die typischen Positivstimmen: Gedackt 8' (Holz), Rohrflöte 4' und Prinzipal 2', letzterer mit Bass/Diskant-Teilung. Der Winddruck beträgt nur 40 mm WS. Die Türen sind verschließbar, sodass man wirklich sehr leise musizieren kann.


    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Masterarbeit und stehe für weitere Informationen zur Verfügung.

    Viele Grüße

    Tobias Rohner