Welche Stimmung

  • Ich habe da mal eine Frage. Es ist keine "technische" Frage sondern eine Erfahrungsfrage.



    Welche Stimmung (z.B. gleichschwebend, mitteltönig, Kirnberger) habt Ihr in Eurer Hausorgel? Und welche Stimmung gefällt Euch am besten und warum?



    Wie gesagt, ich suche hier Erfahrung, nicht Cent-Wertetabellen.



    DANKE!

  • Hallo,



    es ist in der Tat besser, nach dem Gefallen zu gehen. Die Centtabellen sind ja kein Selbstzweck, sondern eine Notation für eine Stimmung.



    Problem ist jetzt halt: Geschmäcker sind verschieden; Manche streben totale Reinheit von Klängen an, dabei landet man bei Extremen wie Terzenrein Mitteltönig (1/4 Komma) oder bei Gleichstufig, wenn alle Akkorde in jeder Tonlage gleich verstimmt haben will. Beides finde ich nicht erstrebenswert.



    Ich habe mit meinen Ohren "experimentiert" und bin dabei auf folgenden Erfahrungswerten gelandet:



    - Terzen bis +6 Cent unrein höre ich als "rein"

    - Terzen bis +10 Cent gefallen mit noch gut

    - Bei den Quinten liegen die Werte etwa bei -4 für Rein/-6 für noch gut, sind also eher schwieriger zu verstimmen.



    Jetzt kommts drauf an was man für Musik mag.

    Ich habs so gemacht:

    - Für Barock: Modifiziert Mitteltönig, die besten Terzen haben +6 Cent (reiner macht mir persönlich eh nichts mehr aus), Quinten mit max. -4 Cent, Wolfsquinte so aufgeteilt dass sie nicht mehr stört.

    - Für Klassik/Romantik: Wohltemperiert, auch hier die reinsten Terzen bei 6-8 Cent.



    Habe beide Stimmungen auf meiner Homepage unter



    http://freenet-homepage.de/jensganter/ak_ho/Ganter_2008.pdf

    http://freenet-homepage.de/jen…G_Terzensinusstimmung.pdf



    Viele andere findet man unter

    http://www.orgelbau-rohlf.de



    Muss aber dazu sagen, dass es tausende andere Möglichkeiten gibt. Will nur vor den "Extremen" Gleichstufig und Rein Mitteltönig warnen. Mich befriedigen diese Extreme nicht wirklich, höchstens noch Gleichstufig, dann aber ohne Aliquote und Mixturen, die "schreien" könnten. Dann kommt es eben drauf an, wie die Register intoniert sind.



    Du kannst mir gerne schreiben, um was für ein Instrument es sich handelt, welche Literatur, welchen persönlichen Geschmack etc, dann kann ich vielleicht weiterhelfen. Die eine beste Lösung gibt es nicht.



    Gruß



    Jens

  • Kleine Anmerkung(en) noch:



    Die drei Stimmungen, die Du beschreibst (gleichschwebend, mitteltönig, Kirnberger) sind allesamt "Extreme" meiner Ansicht nach. Alle haben den Fokus auf einen bestimmten Zweck:



    - Gleichschwebend: Gleichheit aller Akkorde, ohne Rücksichtnahme auf Reinheit

    - Mitteltönig: Max. Reinheit ohne Rücksichtnahme auf Modulation in fremde Tonarten

    - Kirnberger: Terz auf C-Dur unbedingt reine Terz (wieso?), einfach zu stimmen über reine Intervalle (braucht man heute dank mp3-Player oder Stimmgerät nicht mehr).



    Es gibt heute (ich hoffe, ich werde jetzt nicht "gesteinigt") bessere Lösungen für diese Probleme.

    Siehe auch hier:

    http://www.orgel-info.de/tempe-te.htm



    Hier schreibt Reiner Janke:

    "...daß es unzählige Möglichkeiten gibt, unser Tonsystem ohne "Orgelwolf" zu temperieren..."



    Ich kann gerne mp3's zu Stimmungstabellen erstellen, damit kann man "ruck zuck" ein Instrument wie z.B. Cembalo einstimmen und dann ausprobieren. Mit der Orgel wirds schon schwieriger, da man da nichts so schnell ändern kann.



    LG

  • Vielen Dank, Jens! Das hat alles schon einmal geholfen.



    Also, wir haben eine neue Hausorgel. 9 Register. Disposition:

    I. Man. Gedackt 8', Flöte 4', Quinte 2 2/3', Terz 1 3/5' (Gemshorn 2' vorgesehen)

    II. Man. Quintade 8', Krumhornregal 8', Prinzipal 2' (Rohrflöte 4' oder Gedackt 4' vorgesehen).

    Ped. Subbaß 16', Gedacktbaß 8'



    Wir bauen gerade auf und reparieren die wichtigsten Schäden. Ist aber alles nicht schlimm.



    Nun müssen wir ans Stimmen gehen. Und mit einer Stimmung müssen wir "beginnen" und hoffentlich nicht allzuviel ändern.



    Bei der gleichstufigen Stimmung fürchte ich die Aliquoten...



    Es wird die gesamte Literatur, von Buxtehude bis Reger oder Naji Hakim. Da wollen wir eigentlich keine Einschränkungen machen, am ehesten vielleicht bzgl. der Zeit vor Bach.



    Hilft das weiter?



    vielen Dank!

    Oliver

  • Ja, das hilft weiter.



    Bei Reger fällt dann schon mal alles Mitteltönige weg. Bach verträgt sich auch mit Stimmungen, die eher gemäßigt sind, da ja Bach so ziemlich in diese Zeit des Übergangs von Mitteltönig zu Gleichstufig liegt...



    Ich würde Dir die Temperatur II von Janke raten, wenn Du eher symphonisch spielst. Ansonsten die IIIer von Janke oder die Sinusstimmung von mir, damit sind die Zentralen Tonarten noch etwas schöner, bei Reger treten dann halt öfter Klangwechsel auf, kann aber auch sehr interessant sein. Alle Tonarten sind damit gut spielbar. Die IIIer von Janke hab ich schon mit Erfolg bei einem fremden elektronischen Instrument gelegt, die Sinusstimmung (sämtliche Schwebungsverläufe in Sinusform) bei meiner Orgel. Beide sind recht ähnlich; da dürfte man nicht viel oder gar keinen Unterschied hören.



    Gruß



    Jens