Wahre Pfeifenlängen

  • Gibt es eine (mathematisch-physikalisch) fundierte (relativ genaue) Formel zur Berechnung der "wahren Pfeifenlängen" ?



    Die Faustformel "theoretische Länge minus 2x Durchmesser" erscheint mir für weite und kurze Pfeifen nicht geeignet, kommt man bei Nachthorn-Längen unter 15 mm schon fast ins "Minus".



    Beim Bau von konischen Pfeifen benötigt man möglichst genaue

    End-Längen, da sich beim sonst erforderlichen Kürzen die

    Mensur und damit KLangfarbe allzu schnell verändert.

  • Nachdem es wohl nichts gibt, was nicht schon wissenschaftlich untersucht worden wäre, nehme ich an, daß sich längst jemand aufgemacht hat, speziell für konische Pfeifen das Phänomen der schwingenden Luftsäule über die Mündung hinaus eingehend zu erfassen. Die Schwierigkeit liegt darin, in der unüberschaubaren Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten genau diesen Bericht herauszufinden, wenn man bedenkt, welche Mengen an Forschungsarbeiten allein an einem einzigen Lehrstuhl für Strömungsmechanik sich über die Jahrzehnte ansammeln.



    Somit bleibt mir nur meine seit jeher gepflegte Vorgehensweise zu empfehlen, entsprechend viele Probepfeifen zu fertigen und einfach ausprobieren, welcher Ton herauskommt. Wenn man dann solange in kleinen Schritten absägt, um bis zum nächsten Halbton zu kommen, hält sich die Mündungserweiterung und damit die Klangfarbenverfälschung im erträglichen Rahmen.



    Schade eigentlich, daß sich zu diesem Thema noch nicht die wahren Fachleute gemeldet haben, die bereits komplette konische Register gefertigt haben, mit meinen wenigen Spitzflöten-Probepfeifen berichte ich wie die Jungfrau vom Kinde...


  • Hallo,



    ich habe im Internet eine wissenschaftliche Abhandlung von Richard Neumann über die "Physik der Musikinstrumente" - Orgeln und Flöten - gefunden. Im Kapitel 6 sind Formeln für die Längenberechnung von Orgelpfeifen aufgeführt, darunter auch eine für konische Pfeifen.



    Leider kann ich aus Zeitgründen im Moment nicht überprüfen, ob die durch Versuchsreihen ermittelten Maße meiner eigenen konischen Pfeifen durch diese Formel bestätigt werden.



    Hier ist die Internet-Adresse:



    http://www.physik.uni-regensbu…schwarz/physicsmusic.html



    Klaus Suhr

  • Grüss Gott,



    So viel mir bekannt ist, gibt es keine " (mathematisch-physikalisch) fundierte (relativ genaue) Formel zur Berechnung der wahren Pfeifenlängen", alle Verfahren liefern lediglich mehr oder weniger angenäherte Pfeifen-Längen. Ich muss aber gestehen, dass ich mich bisher auch nicht um eine exakte Pfeifenlänge bemüht habe und nach der gleichen Art wie Hr. Spitz die Pfeifen angefertigt habe. Zugegeben dies ist gewiss nicht eine Material sparende Vorgehensweise, aber es macht Spass weil man damit viele unerwartete Klänge produziert, die man u.U. bei einer anderen Gelegenheit verwenden kann. Mit der Zeit wird man fast süchtig bei der Frage: wie klingt wohl das neueste Ding auf der Intonierlade.

    Weil mich die angesprochene Frage auch interessiert, habe ich in der mir zur Verfügung stehende Literatur die betreffenden Abhandlungen angeschaut.

    Im Buch von Aristide Cavaillé-Coll "Sämtliche Theoretischen Arbeiten" ist auf Seite 176 für zylindrisch Pfeifen folgende Formel, die er am 23. Januar 1860 der Akademie vorlegte :L = V/N – (D*5/3) Dabei ist: L=Pfeifenlänge, D=Pfeifendurchmesser, V=Schallgeschwindigkeit, N=Schwingungszahl in der Zeiteinheit. Nach dieser Formel liefert Cavaillé Coll auf Seite 35 eine entsprechende Tabelle der Pfeifenlängen.

    Töpfer=Smets " Lehrbuch der Orgelbaukunst " widmet diesem Fragenkreis ab Seite 95 volle 6 Seiten. In dieser Abhandlung erwähnt Töpfer=Smets auch die Arbeit von Cavaillé-Coll mit der oben erwähnten Tabelle, geht aber im Gegensatz von CC in einem Absatz auch auf die Spezialitäten "Konische und Trichterförmige Pfeifen" ein und zitiert für diese Pfeifenform die Formel von einem Orgelbaumeister Sonreck: L = S/2F – (D+d)/2 , dabei ist L = reduzierte Länge, S = Schallgeschwindigkeit, F = Tonfrequenz, D und d = grosser und kleiner Durchmesser.

    Wenn ich einmal Zeit habe !!!!! werde ich mich diesen 6 Seiten intensiv widmen. Übrigens, sehr aufschlussreich ist der Vergleich obiger Formel von Cavaillé-Coll und die zwei ersten Formeln auf Seite 12 der Abhandlung von Richard Neumann "Physik der Musikinstrumente" ( Beitrag von Herr Klaus Suhr )

    Als grobe Anhaltswerte erachte ich die kleine Tabelle aus dem Buch von Hans Klotz auf Seite 41 .

    Länge einer konisch offenen Pfeife: C 8‘ = ~ 2,25 m, c 4‘ = ~ 1,10 m, c' 2‘ = 0.52 m

    Länge einer konisch gedeckten Pfeife: C 8‘ = ~ 1,60 m, c 4‘ = ~ 0,80 m, c' 2‘ = 0.40 m

    Wenn man obige Werte von Klotz vergleicht mit der Tabelle auf Seite 11 ff aus dem Buch von Christhard Mahrenholz "Die Orgelregister" fällt auf dass die Werte von Klotz doch um einige cm kleiner sind als jene von Mahrenholz.

    Was die "Rechnerei" erschwert ist die korrekte Anwendung der Mündungskorrektur. Wer zu diesem Thema sich informieren will empfehle ich das Buch von Werner Lottermoser " Die akustischen Grundlagen der Orgel" ab Seite 118 mit einer sehr informativen Masstabelle auch von konischen Registern. Ausführlich, jedoch im Aufbau "älter " ( 1936) ist dieses Kapitel im Buch von Winfred Ellerhorst "Handbuch der Orgelkunde" ab Seite 208 ff behandelt.

    Wer bis hierher gelesen hat war " sehr Tapfer " denn ich bin mir wohl bewusst wie grau alle diese Theorien sind und dass man eine Orgel nicht in allen Teilen berechnen kann. Ich hoffe aber dass einige kleine Denkanstösse für eigene Überlegungen hängen geblieben sind und dass ich keine Schwierigkeiten mit unserem Web-Master wegen der Läge des Beitrags bekomme.

    Sehr viel Spass mit entsprechenden Klang-Experimenten wünscht



    hermann werlen

  • Nachdem ich nun wieder einmal eine konische Pfeife gebaut hatte, wie könnte es anders sein, eine Spitz-Flöte, nahm ich mir die angegebenen Formeln vor, um endlich ihre Aussagekraft zu überprüfen:



    "Im Kapitel 6 sind Formeln für die Längenberechnung von Orgelpfeifen aufgeführt, darunter auch eine für konische Pfeifen." (Klaus Suhr)



    Die zitierte Stelle gibt eine Formel für die veränderte Resonanzfrequenz konischer gedackter Pfeifen an, für offene konische Pfeifen finden wir in dem Regensburger Uni-Bericht leider nichts. Somit bleibt uns soweit nur die von Herrn Werlen zitierte Formel des Orgelbauers Sonreck, der die zu reduzierende Länge als Mittelwert der beiden Durchmesserwerte am Labium und an der Mündung angibt:

    (D + d) / 2



    Um den runden Pfeifen möglichst nahe zu kommen, baute ich die Flöte mit quadratischem Querschnitt, unten 45 x 45, oben 18 x 18; auf Durchmesser umgerechnet entspricht die Fläche etwa den Durchmessern 51 und 20 mm, das heißt, eine zu erwartende Reduktion von 35 mm - weit gefehlt, fast vier mal so kurz erweist sich die wahre Länge!



    Auch meine andere Musterpfeife, unterer äquivalenter Durchmesser 44, oberer 18 mm, führt zu einer Reduktion von 31 mm, auch hier ist die "wahre Länge" vier mal kürzer!



    Neugierig geworden, wie es mit den Reduktionsformeln für gerade offene Pfeifen bestellt sei, holte ich die Maßblätter für verschiedene runde und rechteckige Pfeifen hervor. Beim Vergleich der verschiedenen Formeln fällt auf, daß die Regensburger Wissenschaftler vorsichtiger sind, sie rechnen nur mit 3/5 des Radius, also eine Reduktion um etwa ein Drittel des Durchmessers. Cavaillé-Coll geht da rigoroser vor, 5/3 des Durchmessers, diesen Wert nimmt auch Arndt Brünner mit seinem genialen Mensurenrechner, der es uns so leicht macht, Pfeifenmaße zu ermitteln; dennoch stellte ich fest, daß die Reduktion für Baßpfeifen mit Mensuren zwischen -8 und -13 HT lediglich das 1,4-fache, die Hälfte, gar nur ein Drittel des Durchmessers beträgt. Bei rechteckigen Pfeifen dagegen kann man getrost Brünners Wert der Reduktion um die doppelte Pfeifentiefe hernehmen; ich ermittelte Faktoren von 2,3 bis 2,8 der Pfeifentiefe. Diese Werte gelten, mag es Zufall sein, auch für die untersuchten konischen Pfeifen, hier kam ich auf die 2,7 bzw 2,8-fache untere Pfeifentiefe als Längenreduktion.



    Meines Erachtens müßte in die Formeln die Mensur mit einfließen, bei kleinen Pfeifen wohl auch der Winddruck, denn diese Werte bestimmen in starkem Maße die tatsächliche Pfeifenlänge, allein die Reduktion aufgrund von Durchmesser- respektive Tiefenmaßen zu beschreiben erscheint mir vollkommen unzureichend. Freilich kann man davon ausgehen, daß wir in unseren Hausorgeln große Pfeifen wohl stets recht eng mensurieren und auch nicht mit wahnsinnig starkem Wind versorgen, so daß man sich innerhalb eines Registers entsprechende Faustformeln zurechtlegen kann, für kleine, weite Nachthörner, wie Reinhold Schafroth zurecht beschreibt, kommt man dabei schnell auf "Minus"-Längen.



    In diesem Zusammenhang möchte ich davor warnen, sich bei kleinen Pfeifen allein auf die Intonation auf der Intonierlade zu verlassen: Stellt sich dann im Plenum der endgültigen Orgel am endgültigen Standort heraus, daß die hohen Töne lauter intoniert werden müssen, erweisen sie sich schnell als zu kurz - mehrfach mußte ich Pfeifen wieder "anstückeln", um schließlich dann doch wieder die Hälfte davon abzusägen...



    Dreimal abgesägt und immer noch zu hoch, mit diesem Jammer grüße ich Euch jetzt ganz schnell und kurz!