Hausorgel-Stimmung

  • Wer kann Angaben machen, welche Stimmung oder welches Stimmungssystem sich für die Hausorgel bewährt hat ? Auf der Übeorgel Opus 2 soll jede Literatur "möglich" sein und hierfür suche ich noch nach einer geeigneten Temperierung. Wer kennt den Vorschlag für eine Orgelstimmung von Bernhard Billeter (Verlag Merseburger, Anweisung zum Stimmen von Tasteninstrumenten, ISBN 3-87537-160-7) ?

    Vielen Dank im voraus für jeden Beitrag!

    Thomas Reinhardt

  • Es soll also eine Temperatur sein, die in wichtigen Tonarten "schöner" klingt als die gleichstufige, aber in entfernteren nicht schlechter als die letztere; für Literatur des 19./20. Jahrhunderts wäre es sicherlich dann auch besser, wenn der Wechsel zwischen "schön" und "nicht schlecht" nicht krass erfolgt, ferner die chromatische Skala nicht zu farbig ausfällt. Ich habe bisher keine praktische Erfahrung mit solchen Temperaturen (als Stimmer), und weiß auch nichts hinsichtlich Bewährung speziell für Hausorgeln. Bei von Nagel (Cembalostimmkurs in Michaelstein Frühjahr 2000) haben wir als "universellere" Stimmungen u. a. die hypothetische Bachstimmung von Herbert Anton Kellner verwendet. Sie hat ein ziemlich unaufdringliches Zentrum von schönen Tonarten, das Zentrum ist aber wahrnehmbar (das wäre mir bei Stücken ab der Romantik u. U. lästig). Nach der Grafik bei Herbert Kelletat zu urteilen [Zur musikalischen Temperatur, II: Wiener Klassik; Kassel: Merseburger Berlin, 1982; nach S. 144: Tafel 9] - da ist zufälligerweise Kellners und Billeters Temperatur übereinander abgebildet - dürfte dieses in etwa auch auf "Billeter" zutreffen. Bei Billeter ist der Terz-Kegel nicht so spitz wie bei Kellner, weshalb "Billeter" evtl. in dieser Hinsicht besser geeignet wäre. Es handelt sich aber um Unterschiede von ca. 5 Cent - das müßte also mal ausprobiert werden, allein von der Grafik her kann man da sicherlich nicht urteilen.

    Spielerfahrungen habe ich mit einer Temperatur, die Rudolf Janke wohl vorwiegend bei Neu/Umbauten verwendet (Kirchenorgeln Göttingen-Weende, Göttingen-Nikolausberg, Aurich-Walle); ich habe sie bisher nicht identifizieren können, dem Hörensagen nach ist es eine eigene von ihm, aber vielleicht weiß da Jemand mehr? Sie erfüllt sämtliche oben genannten Erfordernisse: Klangschönheit (bei Universalität); fast nicht bemerkbares "Zentrum".

    Wenn aber doch der Schwerpunkt auf älterer Musik liegen soll (ohne daß jüngere ausgeschlossen sein sollte), würde ich eine 1/6-Comma-Mitteltönigkeit wählen. Sie ist sehr farbig, ermöglicht aber dennoch das Spiel entfernterer Tonarten. Bernhardt Edskes verwendet sie häufig (mir bekannte Beispiele: Hardegsen b. Göttingen; Aurich St. Ludgerus), und Bartelt Immer hat sie bei seiner jüngsten Restaurierung benutzt (Emden-Manslagt, Hinrich Just Müller-Orgel 1777).



    Mich würde aber auch interessieren, welche Erfahrungen mit Billeters Orgelstimmung bestehen.

    Hendrik Dochhorn

  • Unser Ak-Mitglied Günter Schwab in Altdorf hat umfangreiche Erfahrungen mit Stimmungssystemem. Leider ist er nicht über Email/Internet erreichbar.

    Vielleicht kann jemand in seiner näheren Umgebung ihn ja einmal bitten, eine Antwort auf die Frage von Thomas zu formulieren.

    Mit herzlichen Grüßen

    Hans Schürfeld

  • Ich werde im Frühjahr 2001 eine Orgel (II/P/21) von gleichstufiger Stimmung auf die Temperierung nach Billeter umstimmen. Hier im Forum kann ich dann über meine Erfahrungen berichten.

    Mit herzlichen Grüßen aus Bad Kissingen

    Michael Stumpf

  • Beim CD-Label "Naxos" (http://www.naxos.com) gibt es jetzt die CD "Heinrich Scheidemann, Works for Organ Vol. 3", eingespielt von Julia Brown an einer Orgel von John Brombaugh (op. 19, 1976; III + P; Central Lutheran Church, Eugene, Oregon, U.S.A):



    "tuned in unequal temperament using Herbert Anton Kellner's "Bach" of 1978"



    Da kann man es also mal hören!

    [Naxos, DDD, Nr. 8.554548]



    Viele Grüße, Hendrik Dochhorn (Göttingen)

  • Erfahrungen mit der Billeter-Stimmung

    (Quelle: Billeter, Bernhard: Anweisung zum Stimmen von Tasteninstrumenten, 1979, Merseburger Kassel, ISBN 3-87537-160-7)



    Vor zwei Wochen hatte ich die Aufgabe, eine Orgel (II/21, Bj. 1980, symmetrische Pfeifenstellung im 5-achsigen Barockgehäuse) von gleichstufiger auf die Temperierung nach Billeter umzustimmen.

    Vorausgeschickt sei, daß ich als Praktiker Stimmungen nach dem Gehör und eher "aus dem Bauch heraus" beurteile, weniger jedoch nach dem Taschenrechner. Das Umstimmen von Gleichstufig nach Billeter war an sich unproblematisch. Dem kam entgegen, daß die Pfeifen erst ab 1/2'-Länge auf Ton geschnitten sind. Auf Ton geschnittene 2'-Pfeifen dürften einigen Mehraufwand verursachen und ein evtl. Rückgängigmachen der Prozedur erschweren. Zugelötete Gedackte könnten die Sache verunmöglichen!

    Bei 8' C (+ 5 Cent) beträgt die Veränderung maximal etwa eine Stimmrollendicke höher. Das Umstimmen der Mixturen war eine Kleinigkeit.

    Die stärksten Abweichungen zur gleichstufigen Stimmung liegen bei f (+ 6 Cent) und c (+ 5 Cent) sowie bei fis (- 4 Cent), wobei die Abweichung bei a und gis jeweils 0 Cent beträgt.

    Fortsetzung folgt.

    Michael Stumpf

  • Erfahrungen mit der Billeter-Stimmung (Teil 2)

    Beim Ausprobieren der Stimmung wird sofort klar: Bei Billeter handelt es sich um eine "richtige" ungleichstufige Temperierung, nicht etwa um eine "modifizierte gleichstufige".

    C-, F- und G-Dur sind die klaren Favoriten. D-Dur ist erfreulich besser als gleichstufig, A- und B-Dur sind noch gut (etwa wie gleichstufig). E- und Es-Dur klingen erträglich. Die Dur-Dreiklänge über Gis und H sind (im Vergleich) eher schlechter; Cis und Fis schießen schließlich den Vogel ab, die Verwendung klingt mir aber nicht unmöglich.

    Meines Erachtens kommt die Stimmung auch dem liturgischen Gebrauch entgegen, wenn man einen Blick auf die Tonarten der Orgelbegleitbücher wirft. Hausorgelfreunden, bei denen regelmäßig etwa Karg-Elert auf dem Speiseplan steht, kann ich jedoch von dieser Temperierung nur abraten.

    Natürlich kann man experimentieren: Die Billeter-Stimmung ist recht systematisch aufgebaut. 6 reine Quinten, 6 Quinten jeweils um 2 Cent (bzw. 1 und 3 Cent) enger als gleichstufig. Man könnte nun die Quinten nur um 1,5 oder 1 Cent vermindern, auf Kosten der reinen Quinten ... usw. ... bis man wieder bei der Gleichstufigkeit angekommen ist ...

    Eine große Rolle spielen natürlich die Pfeifenstellung, Gehäuse- und Raumakustik und letztendlich der persönliche Geschmack des Organisten für das Gelingen einer Stimmung.

    Da nützt nur Eines: Selbst probieren.

    Ein guter Rat zum Schluß:

    Nach dem Stimmen eine Nacht schlafen - erst am Morgen ausprobieren!



    Gutes Gelingen wünscht

    Michael Stumpf



    P.S. An besagter Orgel kann gerne einmal probegespielt werden.

  • Liebe "Hausorgel-Stimmungs-Unentschlossene",



    die Stimmung nach der Anweisung Billeters kann von Hausorgelfreunden an einer weiteren Orgel (II/P/7) angehört und ausprobiert werden: Sie steht derzeit in einer Kirche in Bad Kissingen.

    Nicht weit entfernt befindet sich eine einmanualige Barockorgel von 1750, die letztes Jahr eine modifizierte Billeter-Stimmung (fast gleichstufig) erhalten hat.



    Nähere Informationen und Vermittlung einer Gelegenheit zum An-hören/spielen bei mir [siehe Links].



    M. Stumpf